[Kolumne] Yoga-Nettiquette oder wie man den Stress des Alltags rausschwitzt

„Im Hotroom kann es schon mal eng werden. Seid nett zu einander, mit einem Lächeln auf den Lippen yogelt es sich viel leichter“ liest man auf den Damentoiletten des Yogastudios, das ich seit einigen Wochen wieder stärker frequentiere. Jedes Mal vor Beginn einer Klasse lese ich mir die Infos für die bevorstehenden schweißtreibendsten 90 Minuten des Tages durch und besonders die letzte sticht mir dabei ins Auge. Ich möchte von mir behaupten, eine nette, liebenswürdige Person zu sein. Außerdem bin ich recht höflich und teilweise etwas schüchtern. Vor allem Fremden begegne ich mit einer freundlichen Distanziertheit. Die Yoga-lächel-Regel kommt mir da besonders entgegen, denn so kann ich das auch von anderen erwarten.

Vor einer Woche allerdings musste ich mich fragen, wie zum Guru man es schafft, nett zu bleiben, wenn andere es einfach gar nicht sind. Es kann tatsächlich oftmals (!) sehr sehr eng sein in einem beliebten Yogastudio. Von außen betrachtet, schaut das aus, als yogierten im Hotroom Sardinis. Alle so nah beieinander, dass der eine den Schweiß des anderen nicht nur einatmet sondern auch wieder ausspuckt.

So kann es passieren, dass die eine Yogini und der andere Yogi schon mal ein bisschen rutschen muss. Machen aber nicht alle. Zu beschäftigt mit ihrer Meditation vor dem Beginn der Klasse. Die eine Styleryoginiqueen mit ihrem Stirnband, das, über die Haare gelegt nicht sehr viel Nutzen bringt, geschlossenen Augen, lässt sich auch von der Klassenleiterin nicht dazu bringen, ihre schweinchenrosa Yogamatte mit Blümchenaufdruck ein Stückchen nach links zu bewegen. Dann hätte ich noch einen angenehmen Platz ergattern können und müsste nicht als einzige in der Mitte herumwackeln. Sie hat ihre innere Ruhe aufgegeben und ihre Augen geöffnet, als der „Gooooong“ ertönte, der die Stunde einläutet. Da, meine Sekunde für die abermalige Frage, ob sie denn ein bisschen rutschen möchte. Mit einem Lächeln auf den Lippen. Die Stirnbandyogini entgegnet: „Was? Das geht sich nicht mehr aus!“. Ein Meter Platz. Vielleicht 90cm. Aber doch ausreichend für eine Yogamatte! Das ist Yoga! Das macht man auf engem Raum. Da hat man nicht immer allen Platz der Welt. Hat sich die schon mal überlegt, wo Yoga entstanden ist? Und haben dort alle Menschen Platz?

Ich bleib freundlich und sage: Danke, kein Problem. Ich bleib da wo ich bin. Kurz vor dem stehenden Bogen, eine sehr schöne Übung, die vor allem eins verlangt: K-O-N-Z-E-N-T-R-A-T-I-O-N, kommt die Stirnbandyogini, tippt mir auf die Schulter (!) und fragt, ob ich nicht etwas weiter nach rechts rutschen mag, weil sie habe da zu wenig Platz und sehe sich nicht im Spiegel.!? Ohoh!. Ich drauf: „Ich mach grad den Bogen!!!“ pfff…

Wie bitte komm’ ich da zu meinem Ausgleich, meinem inneren Frieden? Wo ist der Respekt? Ich nehme noch mal all meine Kraft auf und finde in den restlichen 45 Minuten Ruhe, Konzentration und Glückseligkeit wieder. Kein Stress, alles gut. Die Nettiquette. Ich habe mich an sie erinnert. Auf dem stets stark frequentierten Weg zur Umkleide schiebt mich irgendwas zur Wand. Schnellen, gehasteten Schrittes eilt die Stirnbandyogini an mir vorbei.

Wozu macht sie noch mal Yoga?

Damit ich innerlich wie äußerlich nicht explodiere, denke ich mir, „die Dame hat die Nettiquette wohl noch nicht gelesen“, geh’ duschen und lasse den Stress des Alltags im Hotroom.

Die Gastautorin ist erreichbar unter gastautor@buchwelt.co.at beziehungsweise via Kommentarfunktion – Kommentare werden nach Durchsicht freigeschalten!

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